Screening-Untersuchungen und Risikofaktoren (PDF)
Grundsätzlich gibt es in der vorgeburtlichen Diagnostik einerseits Verfahren, die Schwangerschaften mit einem erhöhten Risiko anzeigen, aber noch keine definitive Diagnose ergeben; und andererseits gibt es Untersuchungen, die zu einer Diagnose führen. Risikofaktoren werden in den so genannten Screening-Untersuchungen gesucht. Auch viele Gesunde weisen Risikofaktoren auf. Werden Risikofaktoren gefunden, können weitere Untersuchungen wichtig sein, d.h. dann können diagnostische Untersuchungen (ergeben eine definitive Antwort) nötig sein.
Ein erkanntes erhöhtes Risiko kann sich auf eine kindliche chromosomale oder genetische Besonderheit (wie z.B. das Down-Syndrom oder eine Wachstumsstörung handeln) beziehen. Diese Risiko-Situation bedeutet nicht, dass eine solche Diagnose in jedem Fall vorliegen muss. Eine definitive vorgeburtliche Diagnose z.B. bei erkanntem chromosomalen oder genetischem Risiko ist oft möglich, jedoch nur durch Plazenta- oder Fruchtwasser-Punktion.
Eine Fruchtwasser- oder Plazenta-Punktion ist in der Hinsicht „sicher“, dass sie alle chromosomalen und gezielt gesuchten genetischen Defekte zuverlässig (also in praktisch 100%) erkennt. Aber die Punktion ist auch „unsicher“: Zum einen kann durch die Punktion eine Komplikation, z.B. ein Blasensprung oder eine Fehlgeburt, ausgelöst werden. Zum anderen garantiert eine Punktion kein gesundes Baby, u.a. weil nicht alle Gene untersucht werden können. Daneben gibt es auch Fehlbildungssyndrome ohne chromosomale oder genetische Besonderheiten, z.B. manche Herzfehler.
Zu den Risikofaktoren (für Chromosomenstörungen und manche Fehlbildungen) gehört die verdickte Nackentransparenz (NT). Die Nackentransparenz ist bei etwa 60% der Feten mit Down-Syndrom, die zwischen 11 und 14 Wochen untersucht werden, auffällig („verdickt“). Andere Risikofaktoren sind z.B. eine vermehrte Fruchtwassermenge, ein für das Schwangerschaftsalter zu kleiner Fetus, eine singuläre Nabelschnurarterie, leicht erweiterte Gehirnkammern oder andere so genannte „Soft-Marker“. Diesen „weichen“ Hinweiszeichen stellen keine Fehlbildungen dar und beweisen auch nicht eine fetale Erkrankung, sondern sind Zeichen eines erhöhten Risikos; viele Feten und Neugeborene mit „Risikofaktoren“ werden gesund sein. Bei Vorliegen von Risikofaktoren liegt das Risiko einer fetalen Chromosomenstörung oft (nur) im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Aber Risikofaktoren können im Einzelfall sehr beunruhigen, weil eine definitive Klärung nicht ohne Risiko oder selten auch gar nicht erzielt werden kann.
Den Softmarker stehen den „harten Markern“ gegenüber, also echte Fehlbildungen wie z.B. Herzfehler, offener Rücken, Zystennieren u.a. angesehen. Bei Vorliegen von Fehlbildungen steigt das Risiko einer chromosomalen oder genetischen Besonderheit oft in den zweistelligen Prozentbereich.
Hinweiszeichen (Risikofaktoren) wie die „Softmarker“ liegen leider auch nicht bei allen Betroffenen vor. Zum Beispiel haben nur 60% der Feten mit Down-Syndrom eine verdickte NT. Andererseits finden sich Risikofaktoren auch bei vielen Gesunden: Zum Beispiel sind von etwa 15 Feten mit verdickter Nackentransparenz 14 chromosomal gesund, d.h. die Mehrzahl der Feten mit verdickter NT sind chromosomal gesund. Die anderen sind „zu Unrecht auffällig“ für eine Chromosomenstörung, sie sind so genannte falsch Positive (FP): Die werdenden Eltern machen sich unnötig Sorgen und müssen u.U. weitere Untersuchungen in Anspruch nehmen.
Dieses Prinzip, dass leider auch Gesunde beunruhigt werden, gilt für alle Risikofaktoren und darauf basierende Suchtests, also für alle Screening-Untersuchungen, und zwar gleichermassen in der Schwangerschaft sowie nachgeburtlich und bei Erwachsenen.
An der Risikoberechnung für das fetale Down-Syndrom mittels NT bzw. dem Ersttrimestertest (NT plus einfache Blutuntersuchung) lassen sich die Prinzipien von Suchtests und die Begriffe „Erkennungsrate“ und „falsch Positive“ erklären: Die Beunruhigung werdender Eltern bei -wie sich später herausstellt- gesundem Kind ist der Preis dafür, dass mit dem Ersttrimestertest ohne direktes Risiko für die Schwangerschaft 80% der Feten mit Down-Syndrom erkannt werden. Im Ersttrimestertest werden geplant 5% der Untersuchten „falsch-positiv“ sein (man sagt: „80% Erkennung für 5% FP“). Für den neueren Suchtest für ein fetales Down-Syndrom, den NIPT (nicht-invasiven pränatalen Test) ist die Erkennungsrate 99% bei einer falsch-positiv-Rate von 0,3%. Nur der derzeit noch hohe Preis für NIPT bedingt, dass NIPT nicht allen Schwangeren von der Grundversicherung bezahlt wird.
Nicht alle werdenden Eltern wollen Risikofaktoren abklären. Manche Abklärungen haben Risiken, die Eltern vermeiden wollen, z.B. das Risiko einer Fehlgeburt nach einer Punktion. Gerade wenn die Eltern tatsächlich jedes Kind, auch eines mit leichten oder schweren Behinderungen annehmen wollen, muss z.B. nicht auf Chromosomenstörungen untersucht werden. Aber auch für die Planung der Geburt und eventueller akuter Massnahmen direkt nach der Geburt ist die Kenntnis einer chromosomalen Störung auch sehr wichtig, so dass eine Punktion natürlich auch bei sicher geplanter Fortsetzung einer Schwangerschaft indiziert sein kann.
Leider kann kein diagnostische Verfahren, auch die Fruchtwasserpunktion nicht und übrigens auch keine nachgeburtliche Untersuchung ein gesundes Kind garantieren.
Aber: Die meisten ungeborenen Kinder mit unauffälligen Screening-Untersuchungen werden gesunde Neugeborene sein.